In diesem Artikel erfährst du, was genau Introversion in Abgrenzung zu Hochsensibilität und Schüchternheit ist und warum es wichtig ist darüber aufzuklären, dass Introversion keine Schwäche ist.

Introvertiert in einer extravertierten Gesellschaft

In unserer Gesellschaft sind vor allem die lauten, extravertierten Menschen im Vordergrund. Das sind die Menschen, die sich pudelwohl unter Menschen fühlen und auch das Rampenlicht genießen. Menschen, die in unserer Gesellschaft häufig den Zügel in der Hand halten, weil es ihnen leicht fällt in Gruppen den Ton anzugeben. Das sind scheinbar die Menschen, die erfolgreich sind und zu denen viele aufblicken. Doch ist diese Betrachtungsweise gerechtfertigt?

Das (typische) Bild einer introvertierten Person

  • Introvertierte Menschen gelten als „stille Menschen“
  • sie denken lieber nach, als ständig zu reden
  • sie lesen gerne mal ein Buch
  • sie verbringen gerne und viel Zeit mit sich allein
  • sie sind teilweise reserviert und manchmal sogar misstrauisch der Außenwelt gegenüber
  • sie sind nicht gerne unter Menschen (auf Partys), können laute Geräusche, viele Reize und Trubel nicht gut ertragen, weil sie folglich schnell müde, überreizt und überfordert sind.

Häufig haben wir durch unser Umfeld gelernt, dass wir mit einem anderen (extravertierten) Verhalten weiterkommen.

Wichtig zu verstehen ist, dass wir lernen können, in gewissen Situationen auch ein anderes Verhalten zu zeigen und dass wir Kompetenzen entwickeln können. 

Die Persönlichkeit gilt (ab dem Erwachsenenalter) allerdings als relativ beständig. D. h., dass man sich die Introversion nicht abtrainieren kann (und auch nicht braucht).

Introversion in der Psychologie

Introversion ist keineswegs „schlecht“ und Extraversion „gut“! (Ich finde wir dürfen allgemein lernen, weniger über Dinge / Personen / Situationen zu werten und sie stattdessen wertungsfrei anzunehmen, so wie sie sind.) 

Genau genommen sind diese beiden Begriffe die Endpole einer Dimension unserer Persönlichkeit. 

In der Persönlichkeitspsychologie gibt es die „Big Five“ – 5 Dimensionen, aus denen sich unserer Persönlichkeit ergibt. Dieses Konzept der Big Five gilt in der Forschung als wissenschaftlich fundiert und wurde in tausenden Studien belegt (keine Übertreibung).

Eine Dimension davon ist eben die „Introversion – Extraversion“. Je nach Person befindet man sich auf dieser Dimension näher an Introversion oder Extraversion: Man ist zu einem gewissen Grad introvertiert / extravertiert (auf unterschiedlichen Facetten).

Introversion – Extraversion: Unterschiede im Energie tanken

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass sich das Autonome-Nervensystem bei Introvertierten und Extravertierten unterscheidet:

  • Dies zeigt sich darin, dass introvertierte Menschen sich nach innen richten (müssen), um Energie zu laden. Sie brauchen daher mehr Pausen und Ruhephasen.
  • Extravertierte richten sich nach außen, wenn sie Energie gewinnen wollen.

Dies hat zur Folge, dass Extravertierte gerne unter (vielen) Menschen sind, während Introvertierte sich zwar nicht unbedingt unwohl in Gesellschaft anderer fühlen, aber dass sie das Alleinsein schätzen und teilweise bevorzugen.

Das bedeutet also nicht, dass introvertierte Menschen keine sozialen Wesen sind, sondern einfach nur, dass es sie Energie kostet unter Menschen zu sein und dass sie daher häufig keinen großen Wert auf darauf legen, ständig in Gesellschaft anderer zu sein.

Introversion – Extraversion: Unterschiede in der Informationsverarbeitung

Wer introvertiert ist, kennt vielleicht die Situationen, in denen man mal wieder auf dem Schlauch stand und eine lange Leitung hatte, wo man doch so gerne wortgewandt und spontan reagiert hätte. Minuten oder Stunden später kommt einem dann die Antwort, die man dem anderen gerne gegeben hätte …

Verständlicherweise kommt man sich daher ab und zu unterlegen oder gar dumm vor. 

Doch das muss nicht so sein!

Ja es stimmt, extravertierten Menschen fällt es vielmals leichter in Gruppen zu diskutieren und schnell mitzuarbeiten, während introvertierte vielleicht ab und zu das Gefühl haben nicht mithalten zu können.

Doch Introvertierte bringen häufig besonders konstruktive und innovative Lösungen in Gruppenaufgaben hervor.

Der Grund dafür ist, dass sie überlegter sind und die Informationen tiefer verarbeiten. 

Genau das ist eine der großen Stärken an Introversion!

Die Stärken von Introversion

Introvertierte denken (mehr) nach bevor sie Entscheidungen treffen oder sich zu irgendetwas äußern. Sie können sich zum einen in ein Thema vertiefen, da sie ihre Energie nach innen lenken können und somit beharrlich an einer Sache dran bleiben können und zum anderen sind sie gut im analytischen Denken. Ihre Gespräche sind daher auch nicht oberflächlich, sondern inhaltsreich, tief und von hoher Qualität.

Ihre Distanziertheit, Behutsamkeit und Ernsthaftigkeit machen sie mitunter zu besonders guten Wissenschaftler, Priestern, Journalisten, Therapeuten oder Coaches.

Was sie nämlich auch gut können, ist zuhören, sich in anderen einfühlen und mit Fingerspitzengefühl vorgehen.

Introversion in Abgrenzung zu Schüchternheit

Viele Menschen glauben, dass introvertierte Menschen automatisch auch schüchtern sind und andersherum. Dem ist aber nicht so.

Schüchternheit entwickelt sich im Laufe des Lebens. Eine Eigenschaft, die wir uns (mehr oder weniger freiwillig) aneignen, aufgrund der Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen. Sie verstärkt sich durch häufig erlittene soziale Ablehnung oder wird durch positive Erlebnisse auch abgeschwächt. Schüchterne Menschen zeigen vielleicht ähnliche Verhaltensweisen, aber sie tun dies aus anderen Gründen.

Bei schüchternen Menschen ist z. B. das Verhaltens-Hemmungssystem oftmals von Geburt an besonders stark ausgeprägt, weshalb sie sensibler auf soziale Ablehnung reagieren (Angst).

Introversion in Abgrenzung zu Hochsensibilität

Es gibt viele Überschneidungen zum Konzept der Hochsensibilität nach Dr. Elaine Aron. Doch nicht jeder Introvertierte ist hochsensibel und nicht jeder Hochsensible introvertiert.

Etwa 30 % der Hochsensiblen sind extravertiert. 

Es scheinen zwar viele Hochsensible von der stillen Art zu sein, aber gleichzeitig sind sie nicht automatisch schüchtern. Es gibt durchaus viele hochsensible Menschen, die offen und gerne auf neue Menschen zugehen.

Hochsensibilität gilt vor allem nicht als psychologisches, sondern eher als physiologisches Phänomen (Neuro-Sensitivität).

Falls es nun noch ein wenig unklar ist, weil sich HSP und Introversion doch sehr ähnlich anhören, kann ich noch etwas dazu sagen.

Zum einen ist es wichtig zu verstehen, dass es die oben genannten BIG FIVE schon seit den 30er Jahren gibt und seitdem erforscht werden. Diese 5 Dimensionen grenzen sich voneinander ab und überschneiden sich untereinander nicht, sodass sie im Ganzen unsere Persönlichkeit sehr gut abbilden können.

Zu Hochsensibilität wird noch nicht so lange geforscht. Genauer gesagt gilt Hochsensibilität als umgangssprachlicher Ausdruck und wird in der Forschung unter Neuronaler Sensitivität erforscht.

Meines Wissens wird Neuronale Sensitivität von Neuropsychologen / Wissenschaftlern untersucht, während Introversion (Extraversion) eben ein Persönlichkeitsmerkmal ist und daher auch in der Persönlichkeitspsychologie erforscht wird.

1 Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorgeschlagene Artikel