Am Beispiel des ADHS erklärt

Wir Menschen sind alle individuelle Persönlichkeiten, die scheinbar schwer vergleichbar sind. Gleichzeitig sind wir uns in unserem Verhalten und Erleben doch so ähnlich, dass eine Wissenschaft entstehen konnte, die genau dies bei Menschen erforscht: die Psychologie. In der Psychologie kommt es immer wieder zu (neuen) Erkenntnissen, dass Menschen sich in bestimmten Situationen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nach einem gewissen Muster verhalten. Das bedeutet, menschliches Verhalten ist eben doch recht gut vorhersehbar, da sich Menschen in Verhalten und Erleben ähneln.

Trotzdem gibt es Menschen, die aus dem Rahmen fallen. Menschen, die die Welt nicht wie die meisten Menschen erleben und dementsprechend auch ein anderes, für uns vielleicht ungewohntes Verhalten zeigen. Menschen, die deswegen öfters anecken und leider häufig an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Das sind Menschen, die anders „funktionieren“, weil ihr Hirn sich in gewisser Hinsicht unterscheidet (wie genau sich die Hirne unterscheiden, wird in den jeweiligen Artikeln zu den entsprechenden „Diagnosen“ genauer beleuchtet).

Diese Menschen werden als neurodivers bezeichnet. Doch was ist Neurodiversität?

Neurodiversität beschreibt die natürliche Vielfalt menschlicher Gehirne. Dieses Konzept geht davon aus, dass wie bei der Biodiversität (Artenvielfalt) eine Neurodiversität zur Brillianz unserer Welt und unserer Gesellschaft beiträgt. Aus diesem Grund hat sich auch eine Bewegung hervorgetan, die dafür einstehen, dass das Konzept der Neurodiversität akzeptiert und anerkannt wird und dass man von dem Bild der kranken Person wegkommt.

Denn so ist es nun mal in unserer Gesellschaft, wer anders ist und nicht so funktioniert, wie die anderen wird schnell als krank oder gestört bezeichnet (hier geht’s zum Artikel zum Thema Stigmatisierung). Es wird leider nicht so sehr geschätzt, wenn man zu sehr aus dem Rahmen fällt.

So wie das bei neurodivergenten Personen zu sein scheint.

Neurodivergent vs. Neurotypisch

Neurodivergente Personen haben ein Gehirn, das stark von der Norm abweicht, während neurotypische Personen diejenigen sind, bei denen das Gehirn sozusagen der Norm entspricht.

Wenn man über Neurodiversität spricht, geht es häufig um Autismus, aber auch über ADHS, Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) oder Dyskalkulie (Rechenschwäche).

Das Neurodiversitäts-Paradigma

Dieses Paradigma hat sich entwickelt, weil betroffene Personen häufig diskriminiert werden. Neurodivergente Personen fallen auf und erleben in unserer Gesellschaft vielmals einen Anpassungsdruck, weil sie eine andere Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen zeigen. Dies führt dann zu „abnormen“ Verhalten und Schwierigkeiten, weil die Regeln nicht für und von neurodivergenten Personen gemacht wurden. Damit neurodivergente Menschen nun aber Teil unserer Gesellschaft sein können, wird von ihnen verlangt, dass sie sich ändern. Denn häufig ist es das Umfeld, die Schule, die Arbeit, die Familie, die am Anderssein der neurodivergenten Person leiden, weil diese nicht die gewünschte Leistung erbringen (können).

Es werden dann Therapien angeboten, die diese abnorme Wahrnehmung oder abnorme Verhalten der Menschen verändern sollen.

Wie genau das aussehen kann, wird nun am Beispiel des ADHS erklärt.

AD(H)S: Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts)-Syndrom

ADHS ist eine genetische Störung der Selbstregulation und Selbstkontrolle durch eine Störung im Dopamin und Noradrenalin System im Gehirn.

Diese Störung ist angeboren und lässt sich in dem Sinn nicht verändern.

Wenn das Umfeld passend ist, dann kann man mit dieser genetischen Veranlagung gut leben. Wenn das Umfeld allerdings nicht passt, dann treten bei Menschen mit ADHS häufig vielseitige Probleme auf.

ADHS ist, wie Autismus, ein Spektrum und zeigt sich daher je nach Ausprägung auch unterschiedlich.

Es gibt den Hypoaktiven-, den Hyperaktiven und den Mischtyp. Sie werden auch als den unaufmerksamen Typen, den hyperaktiven und impulsiven Typen und eben den Mischtyp.

Der Unaufmerksame (hypoaktive) Typ

Der unaufmerksame Typ ist der verträumte Typ, bei dem die Gedanken oft abschweifen, die Person schnell abgelenkt ist.

Der hyperaktive-impulsive Typ

Der hyperaktive Typ ist motorisch sehr unruhig und im Verhalten häufig sehr impulsiv. Wichtig ist hierbei, dass im Erwachsenenalter diese motorische Unruhe meist in eine innere, gedankliche Unruhe wandelt und somit nach Außen nicht mehr sichtbar ist.

Beim Mischtyp gibt es beide Anteile.

Diagnose von ADHS

Da ADHS eigentlich zu den Entwicklungsstörungen gehört, wird es in unserem Klassifikationssystem den Störungen des Kindes- und Jugendalters zugeschrieben. Ein Kriterium ist u. A., dass die Symptome bereits vor dem 12. Lebensjahr auftreten müssen.

Früher nahm man an, dass sich ADHS verwächst. Heute weiß man allerdings, dass dies nicht stimmt und dass viele Personen, die bereits im Kindesalter diagnostiziert wurden auch im Erwachsenenalter noch deutliche Symptome zeigen. Diese Personen haben meist nur im Laufe des Lebens gelernt besser damit umzugehen und vieles zu kompensieren.

Nun wird allerdings nicht jede ADHS bereits im Kindes- und Jugendalter erkannt und diagnostiziert.

Gerade bei Frauen wird ADHS erst im Erwachsenenalter diagnostiziert und meistens auch erst dann, wenn sich eine andere Diagnose (eine Komorbidität) oder Problematik, wie Burnout oder eine Depression zeigt.

Vor allem die nicht hyperaktiven Menschen fallen weniger auf, als die hyperaktiven Menschen. 

Warum die Diagnose vielmals eine erste Hilfe ist

Durch die Diagnose wird häufig vieles leichter, auch wenn eine Diagnose alleine noch nichts löst. Zum Beispiel kann einem diese Erkenntnis dazu bringen sich selbst mit einem anderen Blick zu betrachten und auch mehr Verständnis für sein eigenes Handeln und Erleben zu bekommen.

Zudem ergibt sich auch erst durch eine Diagnose die Möglichkeit entsprechende Medikamente zu erhalten.

Medikamente sind in diesem Kontext häufig sehr umstritten. Unter anderem darum, weil versucht wird die Neurodiversität in gewisser Weise in Richtung „normal“ zu therapieren.

Medikamente kann man allerdings auch als Hilfsmittel betrachten: Sie helfen mit den ADHS Symptomen besser umgehen zu können und sie geben einen (Reiz-)Filter, wo bisher keiner war. Das führt dazu, dass die betroffene Person mit ihren Ressourcen besser haushalten kann.

Das allgemeine Problem unserer Gesellschaft ist, dass wir sehr defizitorientiert sind und uns daher sehr auf die Schwächen der einzelnen Personen stürzen und versuchen diese grade zu biegen. 

Doch auch bei Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie gibt es Eigenschaften und Stärken, die ganz außergewöhnlich und besonders sind und die der normentsprechende Personen eben nicht haben.

Bei Neurodiversität sollte eine Frage im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen: Wer ist durch die neurodivergente Besonderheit gestört und wer leidet darunter? Gibt es ein Leidensdruck bei der Person selbst oder nur im Umfeld / in der Gesellschaft? Besteht eine Einschränkung? Und vor allem besteht eine intrinsische Motivation etwas an der Situation, seinem Erleben oder Verhalten zu ändern? 

Es sollte also nicht der Hauptfokus darauf gelegt sein, wie sich die neurodivergente Person am besten anpassen kann. Auch nicht wie das unerwünschte Verhalten abtrainiert werden kann. Denn diese würde einem Menschenbild entsprechen, das nicht zulässt, dass wir Menschen nun mal unterschiedlich sind und funktionieren.

Es geht darum, was man tun kann, damit sich die Person / das Kind / der Erwachsene am besten in seiner eigenen Besonderheit entfalten kann.

Unsere Gesellschaft, wie wir sie heute vorfinden, wurde wahrscheinlich von neurotypischen Menschen entwickelt und stellt demnach neurodivergente Personen vor großer Herausforderungen.

Aber wenn die Natur nun mal auch „andere“ Gehirne erschafft, kann es dann nicht auch sein, dass diese andere Ausprägung nicht ebenso wertvoll für unsere Gesellschaft sein könnte?

Könnte es nicht sein, dass neurodivergente Menschen vielleicht sogar eine Genialität in sich tragen und mit ihrer anderen Art zu Denken und ihrem anderen Erleben der Welt vielleicht sogar die Welt weiterbringen kann?

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